Christoph Kivelitz

Anne Wenzel

Katalogtext zur Ausstellung Munch Revisited - Edvard Munch und die heutige Kunst. Museum Am Ostwall, Dortmund, 30.1. – 1.5. 2005

In: Munch Revisited – Edvard Munch und die heutige Kunst, Kerber Verlag, Bielefeld, 2005.

Das Schaffen von Anne Wenzel kreist um Motive, die in ihrer Süßlichkeit in die heile Welt des Biedermeier oder die verklärten Stimmungsbilder der Romantik zurückverweisen. Ihre Themen findet die Künstlerin in historischen Bildbänden, auf Postkarten und im Fundus trivialer Bilder, die auch heute noch im kleinbürgerlichen Wohnzimmerinterieur klischeehaft Kunstsinnigkeit und Empfindsamkeit "nordischer Art" bekunden sollen. Sie erkundet Bildmotive der 50er Jahre, in denen es Darstellungen kindlicher Keuschheit und Einfachheit anheim gestellt war, Ängste und Verdrängtes zu überblenden und dem Bedürfnis nach Unschuld und Unversehrtheit sehnsuchtsvoll Ausdruck zu geben.

Die aus Keramik geformten Gestalten scheinen auf den ersten Blick eine der Natur entnommene Figur abzubilden. Anatomie, Proportionen und die Ausbildung aller körperlichen Details festigen den Eindruck einer präzis dem Leben nachempfundenen Wirklichkeit. Angespannte Haltungen, rätselhafte Attribute oder auch groteske Auswüchse verdeutlichen jedoch allmählich, dass hier kein Individuum porträthaft nachgezeichnet ist, sondern ein Vorstellungsbild, in dem sich eine Gefühlslage, Erinnerungen, Sehnsüchte oder kanonische Werte verdichten.

Mit leicht gesenktem Haupt scheint sich das Schwarze Mädchen schüchtern, abwartend und passiv in sich selbst zu versenken, um einen Beschützerinstinkt, damit ein dominantes Betrachterverhalten einzufordern. Ein tiefer Einschnitt, der die Figur an der Frontseite aufreißt und den Blick fast brutal in das Innere vordringen lässt, schafft eine weitere Irritation. Zudem werden die linke Schulter, die Schleife des niedlich aufgebauschten Rockes und die Füße des Mädchens durch undefinierbare Geschwülste deformiert. Die amorphen, nicht gegenständlich zu benennenden Gebilde wachsen in den Umraum vor und beziehen diesen in den Kontext der Installation ein, eine Art Topografie per Landschaftszusammenhang umgrenzend. Die Klischeevorstellung von anmutiger, kindhaft-weiblicher Unschuld wird zersetzt und in ein traumatisches Bild von Zerstörung und Auflösung überführt.

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- Website von Anne Wenzel