Christoph Kivelitz

Bettina van Haaren - 'Häutungen'

Malerei und Zeichnung

DASA - Arbeitswelt Ausstellung, DASA-Galerie, Dortmund, 17.01. - 07.03.2010. Kuratoren: Philipp Horst und Marcus Starzinger.


Einführungsrede von Christoph Kivelitz

Unglaublich eindringlich, verstörend, uns fast körperlich berührend und doch flüchtig wie ein Spiegel- oder Schattenbild sind die Bilder von Bettina van Haaren. Es ist nahezu unmöglich, nicht auf sie zu reagieren, sich ihnen zu entziehen. Entweder man fühlt sich wie magisch zu ihnen hingezogen oder verhalten zurück gestoßen, in die Defensive gedrängt. Den menschlichen Körper betrachten wir in der Regel als etwas zu Beschützendes, zu Bewahrendes und zu Behütendes. Thema Bettina van Haarens ist schon in den künstlerischen Anfängen ab Mitte der 1990er Jahre das Bild des weiblichen Körpers, wobei das Motiv des nackten Leibes fast ausnahmslos auch als Selbstbildnis zu betrachten ist. In großformatigen Öl- und Eitemperamalereien auf Leinwand, in Bleistift- und Kohlezeichnungen, Aquarellen sowie Holz- und Linolschnitten befragt die Künstlerin in immer neuen Paraphrasen ihre eigene, selbst erlebte physische Gegenwart und deren Kommunikation mit der Außenwelt. Der dargestellte Körper erscheint aufgrund verschobener Proportionen, Brüche und Verschiebungen in der Anatomie, durch seine kontinuierlichen "Häutungen" und Metamorphosen irritierend eigenständig, wie abgekoppelt von den Empfindungen bzw. Vorstellungen einer unverletzlichen und einheitlich gefassten Identität. Trompe-l'oeil-haft erfasste Körperpartien stehen bloß summarisch, zeichnerisch oder grafisch erfassten Studien gegenüber. Der Künstlerin geht es schließlich nicht um die Repräsentation des Sichtbaren, als vielmehr um die Empfindungsweisen des Physischen in einer Wechselwirkung zwischen dem Sehenden und dem Sichtbaren, zwischen Subjekt und Objekt der Betrachtung.

Die uns bedrängende Nähe der Bildnisse erklärt sich nicht zuletzt aus der besonderen Arbeitsweise der Künstlerin. Sie beobachtet kontinuierlich sich und ihr gelebtes Umfeld als Künstlerin, als Mutter und in ihrer Arbeitswelt. Sie verfolgt die Veränderungen sowohl ihrer Tochter im Aufwachsen als auch ihrer selbst und der Dinge, mit denen sie alltäglich zu tun hat. Die Bilder verdichten sich in einem langwierigen und vielschichtigen Arbeitsprozess zwischen Zeichnung und Malerei, um sich schließlich nicht mehr eindeutig einer bestimmten Bezugsebene zuordnen zu lassen. Das Bildnis ihrer selbst entzieht sich den gewohnten Schemata der Kategorisierung von Menschen- und Dingwelt sowie auch den Konventionen der Porträtwiedergabe. Mentale und körperliche Befindlichkeiten sind gekoppelt an die Wahrnehmung der Gestalt und gleichzeitig Ausdruck dieser Gestalt. Prozesse der Veränderung, des Alterns, Metamorphosen und Transformationen von Rollen- und Geschlechterbildern, Einflüsse von Außen und Innen werden in der Wechselwirkung mit dem jeweiligen Umfeld zur Anschauung gebracht. In einem Spannungsfeld von Fragmentierung und Ganzheit, Nähe und Distanz, Verinnerlichung und Entäußerung zeigt Bettina van Haaren zerstückelte, wie schwebend und ephemer in ihr Umfeld eingewobene Figuren. Wie in einem Traumgesicht ist der umgebende Raum der weiblichen Gestalt ausgeblendet oder weitestgehend reduziert, sodass die Situation den zeit-räumlichen Begleitumständen abstrahiert entrückt. Die Ambivalenz von Figur und Grund ist Ausdruck einer mehrdeutigen, niemals verfestigten Beziehung des Körpers zu seiner Umwelt. Das Spiel mit Negativ- und Positivformen artikuliert die Lust an Ordnungen, Strukturen und Rhythmen, die, zeichnerisch und malerisch behauptet, durch Leer- und Bruchstellen wieder in Frage gestellt werden. Teilweise wirken die nur zeichnerisch summarisch dem weißen Bildgrund aufgebrachten Körper geradezu körperlos. Die skizzierten Fragmente scheinen schwerelos in den Raum vorzustoßen bzw. in nicht weiter konkretisierbare Ort- und Zeitlosigkeit zu entschwinden. Gleichzeitig vermittelt sich durch Blick, Inkarnat und Haltung eine sinnliche Anmutung physischer Gegenwart, die in irritierender Weise Berührungen und Begegnungen evozieren kann. Beim Betrachter löst dies eine eigentümliche Zwiespältigkeit von An- und Abwesenheit, Selbstbehauptung und Selbstauslöschung aus.

Anekdotische Elemente stellen sich ein über Haltung, Gestik und Physiognomie sowie Gegenstände, mit denen der Körper agiert, die zum Teil aber auch ein Eigenleben führen. Durch Aufblasen, Luftablassen, Essen und Ausspeien von Dingen und Formen wird die Abgrenzung von Figur und Umfeld, Innen- und Außenform ständig neu durchgespielt. In einem Prozess tastenden Suchens und Erinnerns erkundet Bettina van Haaren ihre eigene Identität, indem sie in einer osmotischen Austauschbeziehung Übergänge und Schnittmengen, Verletzungen und Entfremdungen im Verhältnis von Körper, Raum und Dingen vor Augen führt. Der Körper erscheint als dynamisches, offenes Gebilde, das ständig neue Bezüge zu seiner Umgebung findet, Dinge aufgreift und nutzt, über diese Kontakt aufnimmt und Austauschbegegnungen sucht. Er entfaltet sich in einem labyrinthisch fortschreitenden Prozess der Verschränkung und Durchdringung unterschiedlicher linearer und formaler Strukturen und Dingbezüge, durch permanente De- und Rekonstruktionen ihrer selbst. Das Ergreifen und Herausnehmen der Lippen oder sogar der eigenen Augen ist somit Ausdruck des Bedürfnisses, den eigenen Körper auch in seinen Funktionsweisen zu erkunden, seine Grenzen unter Zuhilfenahme von Werkzeugen zu durchbrechen.

 

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link Website von Bettina van Haaren

 

Bildlegende: Lagunen, 2009, Eitempera/Öl auf Leinwand, 190 x 240 cm