Christoph Kivelitz

Katia Tangian – Paradiso

Malerei – Fotografie

Katia Tangian Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V. (20. Januar – 17. Februar 2002).
Kuratiert von Christoph Kivelitz.

Einführungsrede (Anfang):

Noch ganz im Taumel der Wirtschaftswunderjahre erliegt die breite Mehrheit der Bevölkerung in den 1960er Jahren dem Glauben, man könne durch soziale Marktwirtschaft Wohlstand und Vollbeschäftigung für alle sichern, verknüpft mit großen Hoffnungen auf grenzenlosen technischen Fortschritt. Mit der geglückten Mondlandung scheint nicht nur die Eroberung des Weltraums, sondern paradoxerweise auch das Paradies auf Erden in greifbare Nähe zu rücken.

Unumwundene Technologiegläubigkeit und Sozialdarwinismus konnten dann mit der Expo 2000, inmitten einer globalen und nationalen Krise kultureller, ökonomischer und sozialer Tragweite, neue Urstände feiern, verbunden mit einer bisweilen ins Religiöse gesteigerten Heilserwartung: "Auf Felsen werden erschreckende Bilder vom apokalyptischen Reiter der Bibel bis zur Atombombe projiziert. Dann wird das runde Tor hell, und in ihm erscheint ein neues Paradies, ein gestalteter Garten, in dem Menschen tanzen. Die Spannung zwischen Untergang und Erlösung prägt den gesamten Raum." Voller Pathos beschreibt der offizielle Expo- Guide das Riesengemälde des Belgiers François Schulten, das den "Planet of Visions" in Halle 9 darstellt. Die gigantischen Versatzstücke des utopischen und in seiner Unangemessenheit durchaus auch kitschigen Szenariums sind mittlerweile in einer ehemaligen Krupp-Halle irgendwo in Bochum gestrandet, um in unbestimmter Zukunft als visionäres Zukunftsbild – wie Phoenix aus der Asche – den Ruinen der Montanindustrie zu entsteigen. Vielleicht offenbart sich aber auch im Scheitern dieses Projekts der unumstößliche Zusammenhang zwischen der Sehnsucht auf ein Paradies und dem Wissen um die apokalyptische Zerstörung, die diesem nach christlicher Vorstellung den Weg zu ebnen hat.

Apokalyptisch nennen wir Schriften, die sich in Visionen, Träumen, Abschiedsreden oder Weissagungen mit einem kommenden Weltende befassen. Zur Beantwortung der Grundfragen des menschlichen Lebens entwerfen sie eine visionäre Perspektive, in deren Licht sich die letzten Sinnkomplexe erhellen. In diesen Prophetien ist die Erfüllung der Geschichte gekoppelt an eine gewaltsame Auseinandersetzung, an eine erschütternde Katastrophe, hervorgerufen durch den Dualismus von Licht und Finsternis, die auf eine Entscheidung drängende Schlacht der bösen Geister gegen Gott. Bevor es jedoch zu einer Neugeburt der neuen Welt und der neuen Erde kommen könnte, läuft ein überaus brutales, in seinen Dimensionen unfassbares Szenarium ab, das die Menschen gleichsam fatalistisch zu überkommen drohe und sie schließlich dem Jüngsten Gericht zuführen werde. Die Lektüre der Weissagungen zeigt allerdings, dass der Anspruch, den Lebenssinn zu erhellen, auf das Gegenteil hinausläuft: auf eine Verschlüsselung, Verrätselung und Verzweigung der Wirklichkeit, wird diese doch ganz in ihrer zeichenhaften Dimension begriffen. In den Schriften und Bildern der Apokalypse werden letztlich die Grenzen des Denkens selbst angedacht, die Bereiche, die rationalem Zugriff nicht zugänglich sind.

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- Bilder aus der Ausstellung