Christoph Kivelitz

Egbert Kasper – Male und Zeichen

Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V. und in der Christuskirche zu Bochum-Gerthe im Rahmen der '6. Kulturwoche' in Bochum-Gerthe, 12. Mai – 9. Juni 1991. Kurator: Christoph Kivelitz.

Katalogaufsatz:

Male und Zeichen. Zu den Bildern von Egbert Kasper

Es mag anmaßend erscheinen, als Kunsthistoriker über einen Künstler zu schreiben, ohne mit diesem selbst über seine Arbeiten gesprochen zu haben. So besteht die Gefahr, daß man seine eigenen Erfahrungen in die Bilder transponiert und als Intention des Künstlers darlegt, was den eigenen, subjektiven Vorstellungen entspringt. Dies gilt umso mehr, wenn der Künstler durch ein kulturelles und soziales Umfeld geprägt ist, das dem Rezensenten fremd ist.

Mit diesen Worten ist in etwa die Problematik dieses Essays umrissen. Der Künstler Egbert Kasper aus Kamenz (Sachsen) ist dem Verfasser aus Bochum (NRW) ausschließlich über seine Bilder bekannt. Allerdings eröffnet sich hiermit auch eine Chance: Es ist möglich, die Werke völlig unvorbehalten zu betrachten. Der Betrachter versucht unter solchen Voraussetzungen nicht, das vorher Gewußte in den Bildern wiederzuerkennen. Er begibt sich vielmehr auf die Suche, um, von den Bildern ausgehend, eine neue Realität zu konstruieren. Gebunden ist der Betrachter dabei an das Ausgangsmaterial des visuell Gegebenen, das als durch den Künstler vorgegebene Gestalt den Rahmen für den zu bildenden Gehalt abgibt.

Der Leser sei nun aufgefordert, der Entstehungsreise durch die Bilderwelt des Egbert Kasper zu folgen. Dabei soll auch versucht werden, das wenig Bekannte über ihn zu vergessen: seine Herkunft aus einem der "fünf neuen Bundesländer”. Hiermit soll nicht seine Identität verleugnet, sondern einer unzulässigen Vereinfachung entgegengewirkt werden. In der westdeutschen Kunstkritik ist es üblich, Kunst aus der ehemaligen DDR mit anderen Augen zu betrachten als solche aus den westlichen Ländern. Es wird immer wieder behauptet, daß der DDR-Künstler von der Situation seines Systems geprägt war und noch ist. Doch gilt diese Prägung nicht für jeden Menschen in jedem politischen System? Sollte daher nicht versucht werden, sich dem jeweiligen Künstler als Individuum zu nähern, anstatt ihn in ein Gerüst erstarrter Vorurteile zu zwängen?

Diesen Prämissen entsprechend wird im folgenden kein Lamento über die vom Totalitarismus geschundene Kreatur zu lesen sein, sondern eine vorsichtige Annäherung an eine ganz persönliche Thematik: die Auseinandersetzung eines Einzelnen mit der Außenwelt und sein Versuch, dies in Farbe, Form und Linie umzusetzen. Als erstes sei eine Kohlezeichnung (o.T., 1990) näher betrachtet. Auf einem hochrechteckigen weißen Pergamentbogen erscheinen als einzige Bildelemente eine schwarze Fläche und eine nach links ausschreitende Figur. Die schwarze Fläche entstand durch das mehrmalige Übereinanderführen des breiten Kohlestiftes. Ergebnis ist ein schwarzes Farbfeld mit unregelmäßiger Kontur. An den Rändern wird die schwarze Farbschicht stellenweise etwas dünner, der Bildgrund scheint durch. Diese jede Gestalt verleugnende, rein abstrakte Fläche läßt noch deutlich den Zeichengestus verspüren. In einem fast schon als gewaltsam zu bezeichnendenAkt sucht der Künstler hier etwas zu verbergen: ganz schwach läßt sich hinter dem dunklen Schleier eine zweite Figur in stark verzerrter Pose ausmachen. Die Bewegung dieser Gestalt mutet geradezu tänzerisch an. Das linke Bein ist weit vorgeschoben, die Arme sind hinter dem Kopf verschränkt. Der ganze Körper ist in einer S-Linie geschwungen. Wird dieser Mensch nun durch die schwarze Schicht eingeschlossen und bedrängt? Oder aber sucht er Schutz – aus Angst vor dem Unbekannten oder der blendenden Helle draußen?

Unwillkürlich fühlt man sich an den ikonoklastischen Impuls von Arnulf Rainer erinnert, der in unendlich sich überlagernden Schichten das Abbild zu verdecken trachtet und so dessen Repräsentationsanspruch in Frage stellt. Hier indessen scheint die Figur durch. Sie ist zwar im Verschwinden begriffen, taucht aber jederzeit als schemenhafter Umriss wieder auf. Das Bemühen des Verdeckens bleibt so für den Betrachter nachvollziehbar, er wird in den Kampf mit einbezogen.

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